Scripted Reality: Genre oder Plage? Bild: Sat.1

Kommentar

Scripted Reality: Genre oder Plage?

Scripted Reality nimmt im Privatfernsehen seit Jahren neben Casting- und Kuppel-Shows Platz – und fühlt sich dort wohl. Allerdings wird es dort durch Gegenwind seitens der Landesmedienanstalten ungemütlicher.
Wer nachmittags den Fernseher einschaltet, kommt zumindest bei den privaten Sendern nicht mehr um Formate wie Verdachtsfälle, Familien im Brennpunkt (RTL) oder Schicksale – und plötzlich ist alles anders (Sat.1) herum.

Die Handlung der frei erfundenen Alltagsdokus behandelt meist die Probleme und Problemchen übergewichtiger Arbeitsloser, schwangerer Minderjähriger oder fremdgehender Ehemänner. Sie deckt konstruierte Kriminalfälle auf und fühlt Nachbarschaftsstreits auf den Zahn. Wichtig ist nur, dass die billige Handlung in die Gut/Böse-Schablone passt. Dass die Kamera dabei wackelt, das Drehbuch nicht gerade tiefgründig ist und die Schauspieler Laien sind – geschenkt. Schließlich bleiben die Produktionskosten niedrig, und der dadurch verursachte Dilettantismus verstärkt den Eindruck der Echtheit paradoxerweise noch.


Alles Fake?

Genau damit haben die Landesmedienanstalten aber ein Problem – und fordern eine bessere Kennzeichnung. Dass die 17-jährige Schwangere Sara aus Familien im Brennpunkt (RTL) ihre Stiefmutter nämlich gar nicht wirklich angezeigt hat (und vermutlich auch nicht wirklich schwanger ist), wird nämlich erst zum Abspann der Sendung deutlich. Im Kleingedruckten, das nur für einen kurzen Moment aufploppt, bevor die Werbung startet. Den Zuschauer im Dunkeln über die Echtheit der sogenannten „Sozialpornos“ zu lassen, gehört zum Konzept.

Allerdings stellt sich die Frage: Sollte nicht jeder halbwegs klar denkende Mensch selber auf die Kette kriegen, dass das Drama um Sara nur erfunden ist? Und falls nicht, was würde eine genaue Kennzeichnung schon ändern?

Nun, etwa ein Drittel der Zuschauer, gerade die jüngeren Semester, blicken in Sachen Scripted Reality oft nicht durch, wie Lothar Hay, Vorsitzender des Medienrates der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein feststellt. Während sich zwar die Mehrheit einfach nur unterhalten fühlt, interpretiert besagtes Drittel die oft fragwürdige Handlung als echt. Stellt sich quasi vor, die Protagonisten werden im Alltag von einer Kamera begleitet. Dass Scripted-Reality-Sendungen voll von rauchenden, saufenden Menschen sind, die lieber verbal entgleisen als Probleme richtig zu lösen, ist kein Geheimnis. Aber muss man das zeigen?

Hier lag und liegt nämlich ein weiteres Problem. Nicht nur das Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion sorgt für Reibungspunkte und Kritik, sondern gerade auch die Vorführung von – oft in irgendeiner Weise deformierten – Menschen. Dabei haben die Fernsehanstalten ja einen Bildungsauftrag – auch die privaten!


Transparenz ist wichtig

Neben der Qualität der Formate, spielt auch die Transparenz eine Rolle. Peter Wildlock, Sprecher der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen: „Der Zuschauer muss jederzeit wissen, in welchem Film er sitzt. Und das ist bei Scripted Reality nicht immer der Fall“. Bei Casting-Shows, Spielfilmen, oder auch Werbung sei schließlich auch direkt zu erkennen, welches Format man sich gerade anschaut. Scripted Reality hingegen bedient sich bewusst am Reportage- und Dokumentar-Stil. Und gaukelt dem Zuschauer so letztlich etwas vor. Auch wenn zumindest Sat.1 immerhin echte Polizisten, Anwälte und Richter als Darsteller einsetzt.


Die Zukunft von Scripted Reality

Anstößige Formate gibt’s nicht erst seit gestern. Nur waren es früher Britt und Arabella Kiesbauer, die am Nachmittag Schreihälsen, trinkenden Schlägertypen und schwangeren 14-Jährigen eine Plattform gewährten. Das sorgte seinerzeit zwar auch für erhitzte Gemüter, aber immerhin waren die Fälle, die in den Talkshows der 90er als Aufreger herhielten, echt.

Trotzdem ist ein Ende für Scripted Reality noch in weiter Ferne – trotz langsam sinkender Quoten. Schließlich lässt sich Sendezeit kaum günstiger und mit weniger Aufwand füllen. Und die letztjährige Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis von Berlin Tag & Nacht spricht ebenfalls Bände.
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