Ein glaubhaftes böhmisches Dorf
Die Entwickler der Warhorse Studios setzen bei ihrem per Kickstarter finanzierten Erstlingswerk – auch wenn Creative Director Daniel Vavra schon an Mafia gearbeitet hat – auf viel Authentizität. Das schafft ein Alleinstellungsmerkmal, Kingdom Come spielt sich nämlich realistischer an als beispielsweise The Witcher 3 oder Skyrim. Ob es das wirklich ist oder sich nur so anfühlt? Egal. Feststeht: Hier gibt’s keine Zaubersprüche und auch keine Drachen. Stattdessen: Möglichst akkurate Nachbauten historischer Burgen, Wälder und was sonst noch so zum Mittelalter gehört. Die Entwickler haben hier ganze Arbeit geleistet und Kingdom Come eine rundum glaubhafte und wunderschöne Spielwelt beschert, in der man Wochen verbringen kann. Dass sie an hölzernen Gesichtern und aufploppenden Objekten sowie nachladenden Texturen krankt – halb so wild. Spielerisch ist das weniger zugänglich, im positiven Sinne. Es vergehen Stunden, bis wir so richtig die Herrschaft über die Gameplay-Mechaniken erlangen und selbst dann merkt man immer wieder, dass Heinrich kein hochgezüchteter Held ist, sondern einfach nur ein Kerl wie du und ich. Er muss essen und schlafen. Wenn er sich nicht am Trog wäscht, schauen ihn NPCs schief an. Wenn er von einer Brücke springt, ist es mit einem Heilkraut nicht getan. Ein verletztes Bein macht sich beispielsweise daran bemerkbar, dass Heinrich nicht mehr spurten kann – was ihm in brenzligen Situationen durchaus zum Verhängnis werden kann.
Erst nachdenken, dann draufhauen
Freilich lässt euch Kingdom Come nicht frei speichern, sondern nur nach wichtigen Punkten im Spiel, etwa nach Beendigung einer Hauptquest. Es sei denn, ihr habt einen Retterschnaps dabei – was selten der Fall ist, weil das Hochprozentige hier teuer ist – oder ihr schlaft in eurem Bett. Man könnte jetzt darüber streiten, ob das zeitgemäß ist, aber Fakt ist: Das Spiel zwingt euch dadurch, Entscheidungen zu überdenken und eure nächsten Handlungen sorgfältiger zu planen.Die rund 50-stündige Story ist spannend und handwerklich fein mit vielen Cutscenes und starker deutscher Sprachausgabe erzählt. Und umwoben von intelligenten Quests, die ihr auf eure eigene Weise lösen könnt. Ihr sprecht mit Leuten, bestecht sie oder schüchtert sie ein – je nachdem, was eurem Charakter mehr liegt. Ihr sammelt Hinweise, lasst mal was mitgehen, wenn ihr gewieft genug seid. Das Skillsystem verändert sich abhängig davon, was ihr tut. Kämpft ihr viel mit Schwertern, werdet ihr besser darin. Überredet ihr gerne Leute, verbessert sich euer Charisma.
Und manchmal zückt ihr eben auch Schwert oder Bogen und geht auf Konfrontationskurs. Das ist aber selten nötig, denn streckenweise spielt sich Kingdom Come nämlich eher wie ein Adventure aus der Ego-Perspektive im RPG-Gewand. Wie ein sauber ausbalanciertes, wohlgemerkt. Auf keinen Fall jedoch wie ein Action-Rollenspiel. Dafür ist das Spieltempo zu langsam, schließlich ist Heinrich, wie eingangs erwähnt, kein Held, sondern nur ein einfacher Schmied, wenn auch einer mit gewissen Ambitionen. Und als solcher muss er essen, schlafen, seine Wunden versorgen und am Schießstand üben. Allerdings artet dieser Ansatz nie aus, sodass sich Kingdom Come zu keiner Zeit wie eine Lebenssimulation spielt. Wenn’s dann doch mal ins Gefecht geht, punktet Kingdom Come mit authentischen Scharmützeln, die wenig mit Skyrim und Co. zu tun haben, sondern mehr an For Honor erinnern. Wer hier nicht am Timing arbeitet, im richtigen Moment blockt und schließlich genauso zielsicher zuschlägt, den schicken die gegnerischen Soldaten schnell mit einem beherzten Hieb zurück zum letzten Speicherpunkt.